Harry G
Der liebevolle Grantler
Wird ein Investmentbanker Komiker … Was sich anhört wie ein Witz, ist (wie so oft) Realität. Vor gut zehn Jahren verließ Markus Stoll seinen Job, begann als Kleinkünstler mit Beobachtungen rund um das Verhältnis zwischen Bayern und (Isar-)Preißn und wurde langsam zur Figur Harry G. Heute ist Harry G so eine Art bayerisches Kulturgut. 2024 geht er mit seinem neuen Programm „Hoam Stories“ auf Tour. Im bayerischen Oberland, einer seiner drei Heimaten, sind die ersten Aufführungen dieses Programms zu sehen. Anlass genug, dem Phänomen Harry G auf die Spur zu kommen.
Text: Christian Jakubetz
Der Mann mit dem Hut – und seine Liebe zur Natur: Harry G geht auch deswegen viel und gerne raus, weil man dort Menschen begegnet. Und die sind wiederum der Stoff, aus dem seine Geschichten sind.
Foto: Olaf Heine
Wie ist der eigentlich so in echt? Das ist eine Frage, die man als Journalist gerne gestellt bekommt, wenn man sich mit Prominenten aller Art getroffen hat. Im Falle Harry G ist die Frage schnell beantwortet: auch nicht viel anders als auf der Bühne. Dem Markus-Harry blitzt der Schalk aus den Augen und bevor man sich’s versieht, ist man auch schon mittendrin in Abhandlungen über Bayern und den Rest der meistens ja dann doch eher preißisch geprägten Welt.
Du bist sowohl ein Oberlandler, ein Oberpfälzer als auch ein richtiger Münchner. Bei so vielen unterschiedlichen Hintergründen …
… ist es zwingend für die eigene Sozialhygiene, dass man diverse Themen, die an diesen Orten passieren, einordnet und schnörkellos und ohne Rücksicht auf Verluste bespricht, so entstand der Harry G. Die Gegenden, in denen ich mein Leben verbracht habe – Schliersee, Regensburg, und München – sind sehr unterschiedlich, aber eines haben alle gemeinsam: Es gibt unheimlich viel zu beobachten und einzuordnen. Und überall ist er anzutreffen, der (Isar)preiß.
Welche Einflüsse tauchen dann im Harry G so alles auf? Was in dir ist der Oberland-Harry G? Wo ist möglicherweise der Isarpreiß-Harry G, der auch schon relativ lange in München lebt, und was ist der Oberpfälzer?
Ob Stadt, Land oder Berg: Alle haben eins gemeinsam: Es gibt überall viel zu beobachten und auf die Bühne zu bringen, egal, ob Oberland, München oder Oberpfalz. Skurrile Dinge passieren überall, man muss nur hinschauen.
Und wenn dir dann Menschen begegnen, irgendwo draußen?
Da kommt meine Inspiration her. Also wenn ich jetzt auf den Berg gehe, treffe ich Menschen, über die ich Geschichten schreiben kann. Wenn ich in München vor die Tür gehe, werde ich gar nicht mehr fertig mit dem Geschichten schreiben. Und wenn ich in Regensburg vor die Tür gehe, schreiben sich die Geschichten auch leicht, da ist ja auch ordentlich was los.
Wird das nicht irgendwann mal zur Berufskrankheit, dass man immer schaut, was machen die Leute jetzt da und wie bekomme ich die ins Programm eingebaut?
Und ob! Es ist mittlerweile richtig schlimm! Wir haben unlängst mal was gemacht, was kein Oberbayer jemals machen würde. Wir sind am Irschenberg ausgestiegen, aber nicht am großen Rastplatz, sondern an der kleinen Haltebucht. Und dann haben meine Frau und die Kinder einfach mal so das Alpenpanorama genossen. Währenddessen hat neben uns einer mit einem Camper gehalten. Und ich war die ganze Zeit hinter meiner Frau gestanden und habe gesagt: „Hast du gesehen? Die haben ein eigenes Wasser dabei. Hast du das gesehen? Und jetzt leert der das Klo da in der Hecke aus. Siehst du das? Schau doch mal!“
Und deine Frau?
Die hat gesagt: „Es ist krankhaft bei dir! Genieß doch einmal die Aussicht. Ignorier doch den!“ Aber das kann ich nicht! Ich schreib das in mein inneres Notizbuch als Futter für mein Programm.
Vom Controller zum Mann, der die Bühen liebt (und das Publikum ihn auch): Harry G gehört inzwischen den festen Größen in der Comedy.
Foto: Mike Heider
Eine Form von Faszination bei Dingen, von denen, wo man weiß: Eigentlich sollte man nicht hinschauen? Ist es das?
Nein, hinschauen ist ok. Die Frage ist ja, was macht man daraus? Solange man nicht persönlich wird, ist doch nichts dagegen einzuwenden, dass man etwas … einordnet.
Juckt es dich in solchen Momenten nicht in den Fingern, auch an Ort und Stelle gleich was zu sagen?
Klar, am liebsten hätte ich da gesagt, Kollege, ziehst du wirklich das Wasser bis nach Italien runter? Und ich wette, er hätte eine Antwort, die eine neue Geschichte für mich ergeben würde.
Du wärst ohne den Preißn als solchen ganz schön aufgeschmissen …
Ja und nein. Natürlich ist der Preiß an sich ein unerschöpflicher Quell an Themen. Aber auch der eine oder andere Landsmann fällt einem thematisch mal vor die Füße.
Kann es sein, dass die Menschen, die du beobachtest, dass genau die bei dir im Programm sitzen, auf die Schenkel klopfen und sagen: Mensch, der ist lustig!
Das ist ja das Schöne. In dem Programm sitzen ja beide Parteien. Und das Tolle ist, dass alle miteinander lachen, freundlich und solidarisch miteinander sind.
Gelegentlich gibt es ja auch ein angespanntes Verhältnis zwischen Münchnern und Tegernseern, obwohl die ja gerade mal so ein paar Kilometer auseinander sind. Wem fühlst du dich dann zugehörig? Dem der Region verbundenen Markus oder dem Harry, der sagt, eigentlich bin ich bekennender Münchner?
Das ist schwierig. Der Tegernseer oder beziehungsweise der Oberländer sozusagen bezeichnet ja einen Münchner grundsätzlich als Isarpreiß, also einen irgendwie snobbischen Typen, der aus der Isarstadt kommt. Mein Herz schlägt für beide. Aber ich kann verstehen, dass die Tegernseer es hassen, wenn die Münchner am Wochenende sozusagen uneingeladen zu Besuch kommen.
Vielleicht verwächst sich das ja auch irgendwann mal. So eine Art gegenseitige kulturelle Aneignung zwischen Bayern und Preißn …
Seien wir mal ehrlich, die gibt es doch in manchen Gegenden längst. Am Tegernsee genauso wie am Starnberger See, in München Schwabing genauso wie in Grünwald und Co.
Der Mann, der den Controller hinter sich gelassen hat: Harry G ist zu einer festen Comedy-Größe geworden.
Foto: Olaf Heine
Und woran machst du die fest?
Daran, dass man sie eigentlich relativ leicht überführt. Wobei, nicht immer. Letztens habe ich am Tegernsee bei einem Waldfest zwei Männer belauscht, die ich aufgrund ihrer Trachten für Einheimische gehalten habe. Dann sagt plötzlich der Eine: „Du Konstantin, kannst du dem Leopold noch einen Häaaaaaahndel mitbringen?“ In allerfeinstem Hochdeutsch!! Das hätte ich am Tegernsee so gar nicht vermutet. Am Schliersee, wo es immer noch ein bisserl zünftiger zugeht, hätte ihm wahrscheinlich von hinten einer eine Gnackwatschn runtergehauen.
Gut, aber der Tegernseer muss ja auch ein bisschen toleranter sein, weil sonst würde er die Heerscharen an Münchnern, die jedes Wochenende die A8 und dann die Bundesstraße nach Gmund runter brettern und dort fünf Kilometer Stau verursachen, gar nicht ertragen.
Ich glaube, dieses Verhältnis entsteht hauptsächlich durch den Verkehr. Wenn ein Tegernseer, der von Rottach rauf nach Gmund fahren will und dann einfach eine halbe Stunde am Kreisverkehr braucht und du siehst diese Kolonne, wie sie zurückfährt oder kommt, je nachdem, in welche Richtung – das ist wirklich brutal.
Aber eigentlich magst du ja diese ganzen Menschen trotzdem, oder? Vermutlich könnte man ja auch ein witziges Programm gar nicht machen, wenn man nicht eine gewisse Grundsympathie hat.
Das ist vollkommen richtig. Ich liebe den Preißn irgendwie für seine naive, energetische Art. Der Preiß steht halt am Gipfel und sagt: Fantastisch! Und so ein Harry steht daneben und sagt: Ja, schön. Also, im Endeffekt hat der Preiß die größere Gaudi, das muss man halt leider auch sagen.
Ist das dann noch der Oberpfälzer Teil in dir, oder? Weil der Oberpfälzer neigt jetzt auch nicht gerade zu Gefühlsausbrüchen und zur Euphorie.
Ja, das ist richtig. Aber wenn ein Oberbayer mal wieder auf seinem Hausberg steht, dann wird er nicht unbedingt himmelhochjauchzen. Er war da doch schon tausendmal! Das wäre ja Hysterie, das ist dem Oberpfälzer unangenehm, das macht er nicht.
Die Figur Harry G ist jetzt ungefähr 10 Jahre öffentlich unterwegs, inzwischen mit sehr großem Erfolg. Aber dein beruflicher Hintergrund ist ja ein ganz anderer. Wie wird aus jemandem, der aus dem Investment Banking kommt, plötzlich ein Comedian? Wann hast du gemerkt, dass du lustig bist?
Interessante Frage. Ich unterhalte gerne, habe als Kind schon gerne unterhalten. Und wenn man grundsätzlich eine Veranlagung dafür hat – das kann man halt in einem ganz normalen Beruf nur bedingt ausleben. Da muss man sich schon trauen, das hauptberuflich zu machen.
Und wie war das dann bei dir, wann kam die große Transformation?
Ich habe bei einer Investmentfirma im Controlling gearbeitet, ein relativ unspektakulärer Beruf. Da haben wir häufig Vorträge bzw. Präsentationen über die unterschiedlichsten Themen halten müssen, und meine waren eigentlich immer ziemlich lustig. Da habe ich dann irgendwann Blut geleckt und gemerkt: Das taugt mir so sehr, ich will eigentlich nur noch auf der Bühne stehen. Ich habe das dann eine Zeit lang ausprobiert. Das hat so gut geklappt, dass ich mir gedacht habe: Jetzt oder nie.
Ja, das stellt man sich als Außenstehender vermutlich ein bisschen zu leicht vor.
Das ist harte Arbeit, das kann ich beschwören. Das funktioniert nicht einfach nach dem Motto: Jetzt mache ich ein Bühnenprogramm, weil ich einen Internet-Erfolg habe. Da muss man dranbleiben und sich immer und immer wieder neu beweisen.
Hattest du eine Art Plan? Also für mich klingt es so ein bisschen wie, du bist von einem zum anderen gestolpert und auf einmal warst du der Harry G, der große Säle ausverkauft. War es so einfach? Gab es da nicht auch mal Momente, in denen du gesagt hast, jetzt gehe ich wieder zurück in mein Controlling?
Die Momente gab es. Zwischen der Kündigung vom Beruf und wie ich mit Harry G angefangen habe, sind ungefähr zwei Jahre vergangen und diese Jahre, das waren keine besonders guten Jahre für mich. Da ist dann auch das Geld knapp geworden. Und da war 2013 der Punkt, wo ich gemerkt habe: Jetzt wird es langsam eng. Und ziemlich genau zu diesem Zeitpunkt kam zufällig das Thema Comedy um die Ecke gebogen, in allerletzter Sekunde sozusagen. Ich habe gemerkt, Mensch, das könnte tatsächlich was werden. Dass daraus dann mittlerweile vier Programme wurden und eine eigene Serie auf Amazon, dass daraus ein paar Hunderttausende Zuschauer werden, das wusste ich natürlich nicht.
Du warst auf keiner Schauspielschule und nicht einer Schule, in der man das Schreiben von Comedy-Programmen lernt, gibt es nach meinem Wissen auch nicht. Hast du dir alles autodidaktisch angeeignet?
Ich schauspielere ja auf der Bühne schon sehr viel, habe aber im Vorfeld der Amazon-Serie trotzdem ein Schauspiel-Coaching absolviert. Und ich habe davor schon ein bisschen Schauspielerfahrung gesammelt, habe Gastrollen gespielt in verschiedenen Produktionen.
Du hast jetzt noch die einzigartige Möglichkeit, deinen Besucherinnen und Besuchern am Tegernsee eine persönliche Botschaft mitzugeben oder sie zu grüßen …
Also, liebe Leser der Seeseiten, ich würde aus folgenden Gründen zu Harry G gehen. Zum einen habe ich die einmalige Chance zu beobachten, wie mein Preißn-Nachbar von der Bühne runter beleidigt wird. Und zum anderen wird „HoamStories“ ein wahnsinnig unterhaltsames und mitreißendes Programm. Es zeigt auch ein bisschen mehr von mir. Also ein bisschen mehr von meiner Leidens- und Lebensgeschichte als Bayer. Und deshalb freue ich mich, wenn ihr kommt. Ich komme auf jeden Fall.
Wer noch mehr über Harry G erfahren möchte, der lese dieses früheres Interview mit ihm in den Seeseiten.
Was tun Sie gerade, …?
Die Keramikerin Monika Ulbrichtbetreibt die gleichnamige Werkstatt am Tegernsee in vierter Generation.