Architekt Matteo Thun im Seeseiten-Interview
Der Mann hinter der Marke
Vermutlich gibt es so gut wie keine Geschichte über das neue Jodschwefelbad, in dem sein Name nicht vorkommt: Matteo Thun ist fest mit dem Gebäude in Bad Wiessee verbunden. Ohne ihn wäre das Jodschwefelbad nicht das Jodschwefelbad. Grund genug, nach der Eröffnung mit ihm zu reden: über die Beweggründe, das Projekt in Bad Wiessee zu machen, und darüber, warum er mehr von Bergbauern als von Professoren gelernt hat. Thun gilt als einer der renommiertesten Architekten und Designer.
Interview: Christian Jakubetz / Kristian Laban
Ein Mann mit konsequentem Stil, egal ob als Person oder als Architekt des neuen Jodschwefelbades in Bad Wiessee: klare Linien, kein überflüssiger Schnickschnack, Eleganz durch Reduktion.
Foto: Nacho Alegre
Herr Thun, wenn man die ganze Welt als potenziellen Arbeitsbereich hat – wieso dann ausgerechnet Bad Wiessee?
Das müssen Sie die Auftraggeber fragen! Aber ja, für uns ist das Projekt auch wegen seiner Tradition besonders interessant. Das neue Badehaus ist eine Hommage an die Heilkraft der Quellen von Bad Wiessee.
Bevor Sie mit der Planung beginnen, verbringen Sie einige Zeit unmittelbar vor Ort, um die Bedingungen, „die Seele des Ortes“ zu verstehen. Worauf achten Sie hierbei besonders?
Die Winde, der Sonnenstand zu den unterschiedlichen Tageszeiten, die Flora und Fauna, die mikroklimatischen Verhältnisse, die lokalen Materialien und beim Jodschwefelbad natürlich auch die Zusammensetzung des Heilwassers, die traditionelle Bedeutung des Bades, all diese Details beeinflussen den ersten Entwurf.
Sie erwähnten einmal: „Ich habe von den Bergbauern in Südtirol mehr über Architektur gelernt als an der Universität.“ Welches Wissen haben die alpenländischen Bauern dem Professor voraus?
Die Walser Bergbauern sind nach wie vor meine unbestrittenen Idole. Wegen ihrer Armut und den Klimabedingungen haben sie ganz selbstverständlich immer die sparsamsten und einfachsten Lösungen gesucht. Die Devise „Weniger ist mehr“, die heute von Architekten hochgehalten wird, ist seit jeher die Basis ihrer handwerklichen Kultur.
Sie haben die herausfordernde Nachhaltigkeitsformel des „Triple Zero“ für Ihre Bauten entwickelt. Kann moderne Architektur einen Beitrag zum Klimawandel leisten?
Wir sind der Meinung, dass „Grüne“ Architektur kein Trend ist, sondern die Rückkehr zur Normalität. Als Architekten versuchen wir jedoch, zwei Begriffe in unserem Wortschatz zu vermeiden: Nachhaltigkeit und Ökologie. Beide sind Pleonasmus – es ist also völlig unnötig, darüber zu sprechen. Wenn ein Architekt nicht nachhaltig plant, nicht ökologisch handelt, sollte er diesen Beruf nicht ausüben. Wir haben die beiden Begriffe durch Langlebigkeit ersetzt – durch ästhetische und strukturelle Durabilität. Wir arbeiten daher nach dem Konzept der drei Zeros. Das bedeutet Zero Kilometer: Nähe von Baustoffen und lokalem Knowhow. Zero CO2: Energiemanagement und weniger Emissionen. Zero Abfall: Lebenszyklusmanagement im Bauprozess und Wiederverwendung von Baustoffen. Es ist der ‚File Rouge’ für all unsere Projekte.
Jeder gefühlt zweite Bericht über Sie beginnt mit der Bezeichnung: „Der StarArchitekt“. Mögen Sie diesen Stempel auf Ihren Werken eigentlich?
Nein, ganz und gar nicht. Für uns hat jedes Gebäude seine eigene Identität. Der Genius Loci bestimmt unsere Architektur.
Sie entwerfen Gebäude, Bars, Möbel, Accessoires. Das Design der illy-Espresso-Tasse, der meistkopierten Espresso-Tasse der Moderne, stammt ebenfalls von Ihnen. Wie muss man sich das als Laie vorstellen? Setzen Sie sich hin mit dem festen Entschluss, etwas ganz Neues und Außergewöhnliches zu kreieren? Oder passiert das einfach?
Architektur und Designprojekte zu entwickeln ist für uns das Gleiche – nur in einem anderen Maßstab. Wir, mein Partner Antonio Rodriguez und unsere Teams von 70 Architekten, Innenarchitekten, Produkt- und Grafikdesignern in Mailand und Shanghai arbeiten gemäß der sogenannten ‚Mailänder Schule’ – also interdisziplinär und in unterschiedlichen Skalen. Ernesto Rogers nannte es: „Vom Löffel zur Stadt“.
Wenn man so vielseitig arbeitet wie Sie, drängt sich die Frage auf: Wird Ihnen schnell langweilig?
Meine Mitarbeiter sagen, ich sei neugierig und manchmal ungeduldig.
Ästhetik der Ökologie: Powerstation Schilling in Schwendi
Foto: Jens Weber
Und wie bekommt man Ihr Interesse für Tassen, Möbel, Hotels oder eben Jodschwefelbäder unter einen Hut? Sie leiten ja auch noch ein Unternehmen mit rund 100 Mitarbeitern an verschiedenen Standorten in der Welt?
Es bedeutet zunächst gut organisiert zu sein – meine Assistentin hilft mir dabei, sodass ich zum richtigen Zeitpunkt entscheidende Meetings mit den unterschiedlichen Teams habe. Es bedeutet auch, sich auf eine gute Organisation im Unternehmen stützen zu können.
Architekten wie Mies van der Rohe oder Le Corbusier sind in Ihren späteren Lebensjahren noch einmal besonders kreativ geworden und haben Werke von Dauerhaftigkeit geschaffen. Kommen Sie jetzt also erst ins beste Architektenalter?
Ich glaube, dass Begeisterung, Neugier, der Wunsch nach neuen Lösungen und Erfahrung zählt, wie in jedem Beruf.
Rund um das Tegernseer Tal herrscht weiterhin eine rege Bautätigkeit. Hätten Sie den einen oder anderen grundsätzlichen Ratschlag, den Sie einem privaten Bauherrn mit auf den Weg geben würden?
Grundsätzlich gilt es den traditionellen Baustil zu interpretieren, lokale Baumaterialien zu nutzen, die vor Ort arbeitenden Supplier und Firmen einzubinden und das Life-Cycle-Management so zu gestalten, dass bereits bei der Planung eine umweltfreundliche Entsorgung berücksichtigt wird. Wir arbeiten gern mit Holz. Holz können wir meist aus der Region beziehen, in der gebaut wird, es ist recyclingfähig und kohlenstoffneutral, verfügt über hervorragende statische Eigenschaften und ein breites Spektrum von Einsatzmöglichkeiten. Wir haben hier also quasi einen Gratisrohstoff. Holz ist ja ein nachwachsender Rohstoff und damit ein Baumaterial, das nicht künstlich hergestellt werden muss wie zum Beispiel Beton. Holz ermöglicht uns gleichzeitig, die Bauzeit eines Hauses enorm zu reduzieren. Und dann altert dieser Rohstoff einfach schön, das zeigen jahrhundertealte Heuschober aus Lärchenholz. Patina ist in der Architektur ein hohes Qualitätsmerkmal.
“Das neue Badehaus ist eine Hommage an die Heilkraft der Quellen von Bad Wiessee.” Matteo Thun über das Jodschwefelbad
Foto: Jodschwefelbad
Brauen und Wimpern Styling
Das Styling von Wimpern und Brauen ist auch am Tegernsee der große Trend.