Kanzlernanny Elisabeth Leutheusser von Quistorp
Das Leben der Hausdame
Schon klar, dass das Leben die interessantesten Geschichten schreibt – diesen Satz kann man sehr leicht als Klischee abtun. Aber wie an jedem Klischee ist auch an diesem etwas dran. Wenn man sich das Leben von Elisabeth Leutheusser-von Quistorp ansieht, dann ahnt man, wie sehr das stimmt. Der TV-Moderator Stefan Scheider hat die Geschichte dieses Lebens aufgeschrieben, und schon allein die Entstehung dieses Projektes ist abenteuerlich.
Text: Christian Jakubetz
Elisabeth Leutheusser-von Quistorp: Die ehemalige Hausdame von drei Bundeskanzlern hat gemeinsam mit Stefan Scheider ein ereignisreiches Leben in Buchform gepackt.
Foto: Stefan Scheider
Die Gegensätze könnten auf den ersten und auch auf den zweiten Blick kaum größer sein. Er, der Mann aus dem Fernsehen, einer, der die Öffentlichkeit liebt und umgekehrt genauso. Der Nachrichtenmann, der trotzdem immer Sonnyboy geblieben ist. Einer, der es schafft, seine Zuschauer selbst nach dem Verlesen unschöner Nachrichten halbwegs gutgelaunt in den Rest des Tages zu entlassen. Und einer, der neben seinem TV-Dasein auch noch ein veritabler Social-Media-Celebrity ist. Facebook, Instagram, Stefan Scheider ist anscheinend omnipräsent. Nicht nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass man „den Stefan“, so seine Selbst-Titulierung in den Social-Kanälen, gerne auch als Moderator für Veranstaltungen aller Art bucht, von der Gala bis zum Christkindlmarkt.
Sie dagegen, eine Frau, die sich im Hintergrund wohl fühlt. Eine Frau, die näher an der Macht ist als es Journalisten und TV-Moderatoren im Regelfall schaffen. Sie kennt die deutschen Kanzler aus der Nähe, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt.
Den schönen Titel „Hausdame“ verwendet heute niemand mehr
Eine Zeitzeugin, die eine Epoche und die wichtigsten Protagonisten erlebt hat, von denen man nicht weiß, ob sie noch Zeitgeschichte oder schon als Geschichte einzuordnen sind.
Dazu eine Frau, die aus einem alten Adelsgeschlecht stammt. Bei Erhard, Kiesinger und Brandt bekleidete sie eine Stelle, die den schönen Namen „Hausdame“ trug. Das würde heute vermutlich niemand mehr so sagen. Vielleicht ist auch das der Grund dafür, warum man sie, wenn man nach Elisabeth Leutheusser-von Quistorp googelt, immer öfter über den Begriff „Kanzler-Nanny“ stolpert. Das wiederum hat viel mit Stefan Scheider zu tun. Und spätestens jetzt sind wir an dem Punkt, an dem sich die Geschichten dieser beiden sehr gegensätzlichen Menschen kreuzen.
Szenen eines Hausdamen-Lebens: Als diskrete Begleitung bei Staatsbesuchen zusammen mit Kanzler Erhard.
Foto: Privatbesitz
Treffen sich zwei Bayern in Hamburg – was zunächst nach einem schlechten Witz oder nach einer müden ZDF-Vorabendserie klingt, ist bei Stefan Scheider und Elisabeth Leutheusser-von Quistorp der Beginn einer langjährigen Freundschaft. Scheider ist mit einem Team des BR in Hamburg, Dreharbeiten zu einem Film. Während sich der TV-Journalist den Maler Caspar David Friedrich zum Thema gemacht hat („Einmal im Jahr kommt eines seiner Bilder auf den Titel des spiegel”, lacht Scheider), ist Elisabeth Leutheusser-von Quistorp privat da; eine passionierte Kunstfreundin eben.
Und plötzlich also, so erzählt Scheider, steht da jemand neben ihm – und fragt: „Was macht der BR denn in Hamburg?“ Dass die resolute Dame neben ihm treue Zuschauerin der damaligen „Rundschau“ im BR ist und den Moderator schon allein deswegen kennt, weiß Scheider in diesem Moment nicht. Und auch nicht, dass sie beide am Tegernsee wohnen. Und so kommt es, dass zwei Bewohner des Tegernseer Tals sich in Hamburg begegnen, sich sympathisch sind, über die Malerei ins Gespräch kommen und beschließen, in Kontakt zu bleiben.
Was Scheider ebenfalls nicht weiß: Die nette Kunstinteressierte hat zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2006 eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich. Eine Geschichte, die so ungewöhnlich ist, dass man sie einem Drehbuchautor nicht abnehmen würde.
Ihre Lebensgeschichte klingt spannender als ein Drehbuch
Elisabeth Leutheusser-von Quistorp wächst als jüngstes von sieben Kindern in der Nähe von Usedom an der Ostseeküste auf. Einigermaßen behütet, sofern sich das in Kriegszeiten so sagen lässt. Nach dem Kriegsende dann das, was in diesen Tagen Millionen Menschen passiert: Flucht, Vertreibung, Irrungen und Wirrungen. Ihr Vater stirbt in einem sowjetischen Gefangenenlager, 1961 verliert sie auch noch ihre Mutter. Sie macht eine Ausbildung und es deutet nicht sehr viel darauf hin, dass dieses Leben sehr viel anders verlaufen würde als so viele andere in diesen Jahren des Wirtschaftswunders.
Elisabeth leutheusser-von Quistorp ist der Macht so nahe gekommen, wie wenige.
Foto: Privatbesitz
Das ändert sich 1964. Die Beatles singen „She loves you“ und lösen weltweite Hysterie aus. Die Rolling Stones positionie- ren sich als böser Gegenentwurf, in Deutschland ist die lange Zeit des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer vorbei. Der Vater des Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard, ist seit einem Jahr Bundeskanzler. Elisabeth Leutheusser-von Quistorp wiederum begegnet zufällig der Tochter ebendieses Bundes- kanzlers und scheint dabei nachhaltigen Eindruck hinter- lassen zu haben. Zumindest so viel, dass die Kanzler-Tochter ihrem Vater ans Herz legt, die gerade mal 20-jährige gelernte Kinderpflegerin zu seiner Hausdame zu machen.
Hausdame? Das ist ein Job, wie es ihn heute im Bundeskanzleramt nicht mehr gibt (und wenn es ihn noch gäbe, würde vermutlich niemand auf die Idee kommen, eine 20-jährige Seiteneinsteigerin mit dieser Aufgabe zu betrauen). In Hotels gibt es diese Bezeichnung noch gelegentlich, wird aber inzwischen gerne durch Anglizismen wie „Executive Housekeeper“ ersetzt, was die Frage nach der Sinnhaftigkeit solcher Anglizismen aufwirft, aber das ist wiederum ein anderes Thema.
Ein Kanzler wird sogar ihr Trauzeuge
Die „Hausdame“ im Verständnis der damaligen Zeit und des Bundeskanzleramtes ist etwas anderes. Salopp könnte man sagen: oberstes Mädchen für alles, immer verfügbar, allwissend, nah am Zentrum der Macht und deshalb sehr diskret. Ein 24-Stunden-Job, über (noch so ein Anglizismus) „Work-Life-Balance“ können Hausdamen des Schlages Elisabeth Leutheusser-von Quistorp vermutlich nur müde lächeln.
Der Bundeskanzler und seine Hausdame: Das passt, würde man heute sagen. Elisabeth Leutheusser-von Quistorp findet sich schnell in ihrem neuen Job ein, macht sich unentbehrlich. Der Kanzler wiederum weiß offenbar auch die Persönlichkeit seiner Dame für alles sehr zu schätzen; später wird er ihr Trauzeuge.
Zu dieser Zeit, 1970, ist Erhard schon seit vier Jahren nicht mehr Kanzler. Elisabeth Leutheusser-von Quistorp hingegen ist geblieben. Erst bei Erhards Nachfolger Kurt Georg Kiesinger, mit dem sie nie ganz warm wird. Und dann bei Willy Brandt, dem Weltmann und Nobelpreisträger. Mit ihm kommt sie blendend aus, wieder stimmt die Chemie. Aber eine verheiratete Hausdame im Kanzleramt? Das schließt sich beinahe aus. Und so verlässt die „Kanzler-Nanny“ nach acht Jahren und drei Kanzlern das Amt, das ihr so vertraut ist. Ohne Groll, ohne Wehmut, schließlich stehen ihr viele Jahre als Ehefrau des Unternehmers Helmut Leutheusser bevor. Die Rolle ist, ungewollt, wieder eine ähnliche, er, der erfolgreiche Macher, sie die patente Frau im Hintergrund, ohne die nichts gehen würde. Was man heute als Frauenbild kaum mehr gutheißen würde, war damals ein echter Aufstieg: vom Flüchtlingskind und der Kanzler-Hausdame zur „Unternehmersgattin“, was für eine Geschichte!
Zehn Jahre lebt sie in Oberfranken als Ehefrau, Mutter von zwei Kindern und angesehenes Mitglied der dortigen Society. Dann geht es, wieder einmal, an den Tegernsee, an dem sie schon mit Kanzler Erhard immer wieder war. Ehemann Helmut will aus geschäftlichen Gründen dorthin, wird später dort u.a. 20 Jahre lang Vorsitzender der Olaf-Gulbransson-Gesellschaft. So hätte es weitergehen können, doch die Ehe geht in die Brüche. Elisabeth Leutheusser-von Quistorp allerdings lässt sich auch davon nicht unterkriegen, baut ihr neues, eigenes Leben auf, lebt in München, engagiert sich vielseitig – und kommt immer wieder gerne an den See zurück.
Für Stefan Scheider wiederum stand bald nach der ersten Begegnung fest: So ein Leben, das muss man doch aufschreiben! „An mich selbst habe ich dabei gar nicht gedacht“, sagt er heute mit echtem Erstaunen. Schließlich, das bringt der Job als Hausdame im Kanzleramt mit sich, kannte Elisabeth Leutheusser-von Quistorp so viele und vor allem so hochkarätige Journalisten, saß sogar mal mit dem großen Tom Wolfe an einem Tisch. Doch Elisabeth Leutheusser-von Quistorp hat sich längst anders entschieden, der Journalist und mittlerweile enge Vertraute aus Gmund soll es machen.
Eine Biografie ist „wahnsinnig viel Arbeit“
Scheider selbst zögert erst einmal. Nicht nur wegen der schieren Größe eines solchen Biografie-Projekts. Sondern auch, weil Scheider als Absolvent der renommierten Deutschen Journalisten-Schule in München zwar mal das Schreiben klassischer Texte gelernt hat, seit vielen Jahren aber seine journalistische Heimat im Fernsehen gefunden hat. Und Texten und Moderation fürs TV auf der einen und das Schreiben eines Buchs auf der anderen Seite, das hat nicht so sehr viel miteinander zu tun. Für Laien: Das ist ungefähr so, als müsste ein Konditor den Job eines Kochs übernehmen. Hat zwar beides mit Gastronomie zu tun, sind aber trotzdem zwei ganz unterschiedliche Anforderungen.
Also, ran ans Mammutwerk, in des Wortes Sinne: „Wahnsinnig viel Arbeit“ sei es gewesen, in die vielen Erinnerungen, Augenblicke, Fotos, Notizen und stundenlange Gesprächsaufzeichnungen Struktur zu bringen, ein Bild zu gewinnen – und es dann auch so zu zeichnen, dass die Leser die ganze Geschichte der Elisabeth Leutheusser-von Quistorp lesen und verstehen können.
Herausgekommen ist ein Buch, in dem der TV-Mann Stefan Scheider seine oben beschriebene verblüffende Fähigkeit ausspielen kann: Das Schwere auch mal etwas leichter erscheinen zu lassen. Dass in einem fast 80-jährigen Leben nicht immer alles perfekt läuft, klar, da macht auch Elisabeth Leutheusser-von Quistorp keine Ausnahme. Trotzdem geht man nach der Lektüre gut gelaunt weiter ins nächste Buch, weil die Geschichte der Kanzler-Nanny (und auch sie selbst) nirgendwo Verbitterung hinterlässt.
Der Verlag, so viel erzählt Scheider dann doch noch schmunzelnd, war von der Idee dieser Biografie anfangs nur mäßig überzeugt. „Das wollen die Leute nicht lesen“, hieß es ganz zu Beginn. Nach mehreren Nachdrucken, diversen Lesungen und wohlwollenden Besprechungen auch innerhalb der anderen ARD-Sender können sich die Hausdame a.D. und ihr Biograph entspannt zurücklehnen, zumal es beiden nicht so sehr um einen großen Verkaufserfolg ging. Sondern eher um eine Mission, einen Auftrag: Irgendjemand muss die Geschichte doch mal aufschreiben!
Stefan Scheider, „Moment, ich wecke den Kanzler!“
200 Seiten, 29,50 €, überall im Buchhandel.
„An mich selbst als Biograf habe ich erst mal gar nicht gedacht.“ TV-Journalist und Autor Stefan Scheider mit der Kanzlernanny.
Foto: Stefan Scheider
Seeseiten online lesen
Seeseiten Tegernsee – die Winterausgabe 2022 hier als ePaper online lesen.