Ein stiller Zeuge der letzten Kriegstage
Die Kapelle Louisenthal
Am 30. April 1945 schießt sich Adolf Hitler in den Bunkern der Berliner Reichskanzlei eine Kugel durch den Kopf. Das Dritte Reich ist besiegt, auch im Tegernseer Tal marschieren die Alliierten ein. Für drei Männer wird die Begegnung mit den siegreichen Franzosen tödlich enden. An sie erinnert die Louisenthaler Kapelle, die bis heute auf dem Grundstück der Papierfabrik steht.
Text: Tatjana Kerschbaumer
Einblicke in eine bewegte Geschichte: Die Kapelle Louisenthal.
Foto: Andreas Leder
Es ist der Abend des 2. Mai 1945, als französische Soldaten in Gmund-Dürnbach einrücken. Sie feiern, trinken und – glaubt man den Quellen – randalieren. Am Morgen darauf stehen sie vor dem Wohnhaus der Familie Förderreuther. Dr. Hans Förderreuther und Commerzienrat Arthur C. Haug sind die Inhaber der örtlichen Papierfabrik. Die Franzosen kontrollieren die Ausweise, greifen sich Wertsachen. Ein – zunächst – relativ gängiges Verhalten in den Wirren der letzten Kriegstage.
Doch dann kommt das Gerücht auf, auf dem Werksgelände würde sich ein SS-Offizier verstecken. Bewiesen werden konnte das nie: die versprengten Angehörigen der SS-Division “Götz von Berlichingen” hatten sich im Kreuther Tal verschanzt, wo auch die letzten Artilleriegefechte stattfanden. Aber das Gerücht genügt. Die Stimmung heizt sich auf. Schließlich führen die Franzosen Hans Förderreuther und den schon über 70-jährigen Arthur C. Haug ab – gemeinsam mit einem unbekannten, verwundeten Wehrmachtssoldaten aus Koblenz. Kurz darauf fallen Schüsse. Alle drei Männer werden nahe der Werksbrücke über die Mangfall erschossen. “Ohne Grund”, da sind sich die Heimathistoriker heute einig.
Über das, was damals wirklich passiert ist, gibt es verschiedene Interpretationen. Der damalige Gmunder Pfarrer beschrieb bereits 1945, Förderreuther und Haug seien wegen “schlechter Behandlung von französischen Kriegsgefangenen im Betrieb” hingerichtet worden. Andere Quellen behaupten, die ehemaligen Zwangsarbeiter der Papierfabrik hätten die französischen Soldaten regelrecht dazu gedrängt, Förderreuther, Haug und den unbekannten Soldaten zu erschießen. Manche glauben auch, die Zwangsarbeiter hätten selbst zu den Waffen gegriffen. Einer der Söhne Hans Förderreuthers, Heiner Förderreuther, stellt klar: Sein Vater habe Zwangsarbeiter nie schlecht behandelt. Er hält die Schüsse für Mord. Förderreuther und Haug werden zunächst zuhause aufgebahrt.
Als nach den Franzosen die Amerikaner kommen, “lärmend und fröhlich”, so beschreibt es ein zeitgenössischer Artikel, betreten sie auch das Totenzimmer. “Schweigend nahmen sie die Helme ab und drückten Frau Förderreuther die Hand”. Ihre letzte Ruhestätte fanden die beiden Firmenbesitzer in der Louisenthaler Kapelle, an deren Außenwand auch eine Gedenktafel an sie erinnert. Der unbekannte Soldat aus Koblenz wurde anonym auf dem Friedhof in Gmund bestattet.
Innenansicht der Kapelle Louisenthal
Foto: Andreas Leder
Steckbrief
Seeseiten, Frühling 2018.
Heimatgeschichten
erzählt von Tatjana Kerschbaumer
Mit ihren Augen
Die Tegernseer Illustratorin Katharina Bourjau präsentiert ihren persönlichen Blick auf das Tegernseer Tal.