Gala im Seeforum
Oper unplugged
Oper, das ist so eine Sache. Immer ein Großereignis, das auch etwas von gesellschaftlichem Zwang hat. Opern gelten als Hochamt der Hochkultur und als etwas, das mit Spaß oder womöglich sogar Experimentellem wenig zu tun hat. Muss aber nicht so sein, sagt Tobias Truniger. Im Gespräch mit den Seeseiten erzählt der musikalische Leiter des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper, warum man sich bei dem Thema von allen gesellschaftlichen Zwängen frei machen darf, was Oper und Heavy Metal gemeinsam haben und wieso man im Juli in Rottach-Egern eine Art „Oper unplugged“ erleben kann.
Interview: Christian Jakubetz
Gerne auch mal etwas unkonventionell: Tobias Truniger.
Foto: Wilfried Hösl
Wie muss man sich so einen Opern-Chef eigentlich vorstellen? Kurz vor dem Gesprächstermin geistern so ungefähr alle gängigen Klischees durch den Autorenkopf. Alle in der Richtung: sehr ernst, ein bisschen verkopft und Musik als eine wirklich sehr, sehr ernste Sache betrachtend. Kurz darauf stellt sich heraus, dass keines davon zutreffend ist (so ist das manchmal bei Klischees). Tobias Truniger, Schweizer mit immer noch leichtem, entsprechendem Zungenschlag, ist einer, mit dem man sofort ins Gespräch kommt, keine Anlaufschwierigkeiten, kein Dünkel. Außerdem einer, dem Konventionen nicht allzu viel bedeuten.
Und er lacht viel. Sehr viel.
Da traut man sich dann auch mal Fragen zu stellen, die man jemandem, der ins Autorenklischee passen würde, so nicht stellen würde.
Herr Truniger, meine Tochter ist kurz vor dem Abitur mit ihrer Klasse nach München in die Oper gefahren. Als sie zurückkam, war sie tief beeindruckt und fand das ganz großartig. Trotzdem würde ich ihr bei aller Liebe unterstellen, dass sie von Musik nicht viel versteht und von Opern gar nichts. Warum kommt eine 18-Jährige aus der Oper und sagt: Oh toll, das mache ich jetzt öfter!
Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass bei der Oper viele Dinge zusammenspielen. Das ist einmal die Musik, und das ist das große Orchester, das sind die Sänger, die quasi ihre Gefühle auf der Zunge tragen. Es ist das Schauspiel, das ist die Bühne, es sind die Kostüme. Also, es ist eigentlich ein Riesenhappening. Für einen Anfänger in der klassischen Musik ist das ein einfacherer Einstieg, wenn man in so ein Happening reingeht, wo all diese Kräfte zusammenkommen.
Die Oper also als großes Spektakel, mit der Betonung auf groß?
Ja, in der Oper ist meistens alles sehr groß gemacht. Schauen Sie, wie viele Leute allein nach Verona in die Arena fahren, um sich dort eine Oper anzuschauen. Es hat viel auch mit dem ganzen drumherum zu tun. Das ist schon im Barock so gewesen. Die Leute sind hingegangen, natürlich um Musik zu hören, aber in allererster Linie, um einen wirklich besonderen Abend zu erleben. Oper ist also vielleicht die aufwendigste Kunstform.
Wenn das schon im Barock so war, dann ist es ja erstaunlich, dass sich diese Kunstform anscheinend bis heute nicht über- lebt hat.
Wir sehen heute immer wieder die Versuche, die Oper zu aktualisieren und ein bisschen mehr an unsere Zeit anzugleichen. Das finde ich sehr gut, weil ich natürlich die meisten dieser Standardwerke schon oft gesehen habe. Dann bin ich sehr froh, wenn man mal auch andere Ansätze zu sehen bekommt.
Eine moderne Oper sozusagen? Was kann das sein, wie soll die aussehen?
Man darf ruhig von dem ganzen Pomp wegkommen und das Ganze ein bisschen reduzieren oder mal abstrakt auf die Bühne bringen. Aber klar, was die Leute tatsächlich anzieht, das bleibt weiter im besten Sinne das Spektakel, diese verschiedenen künstlerischen Formen.
Wie ist das für Sie als derjenige, der sich professionell mit dem Thema Oper beschäftigt? Zu wissen, dass da möglicherweise Menschen in einer Oper sitzen und möglicherweise das, was da dahinter liegt, die Qualität, den Aufwand gar nicht zu schätzen wissen, sondern einfach sagen: Großes Entertainment!
Das ist überhaupt nicht schlimm. Und eigentlich denke ich, wir haben unseren Job richtig gut gemacht, wenn die Leute drinsitzen und nicht darüber nachdenken, wie groß der Aufwand für die Produktion war. Dass man so eine neue Produktion sechs Wochen lang probt, bevor überhaupt die erste Vorstellung kommt. Oder dass der Regisseur mindestens ein oder sogar zwei Jahre vorher gebucht ist, damit er sich auch wirklich in Ruhe mit dem ganzen Stück auseinandersetzen kann. Es ist also eine richtig gute Sache, wenn der Zuschauer einfach das genießt, ohne zu wissen, was da alles dahinter ist. Und vielleicht ist das der Grund, weswegen Ihre Tochter oder Sie durchaus von so einem Abend viel mit nach Hause nehmen. Weil man nicht ausschließlich über den Kopf, sondern wirklich über alle Sinne angesprochen wird.
„Es ist eigentlich ein Riesen-Happening“, sagt Tobias Truniger über die Kunstform der Oper.
Foto: Wilfried Hösl
Kleiner Schlenker, weil Sie das gerade mit so einer Begeis- terung erzählen: Kennen Sie eigentlich die legendäre Szene aus der Serie „Monaco Franze“, wo der arme Franz in die Oper gehen muss? Und am Ende lauthals erklärt, es sei „ein rechter Scheißdreck” gewesen?
Ja, natürlich! Davon abgesehen, dass die Szene wirklich lustig ist: Wenn die Leute sagen, man müsse die Oper für alle zugänglich machen, ich finde das gar nicht. Ich halte es für absolut akzeptabel, dass jemand in die Oper geht und sagt, das haben die bestimmt alle gut gemacht, aber ich kann damit nicht so viel anfangen. Ich finde nicht, dass jemand, der der sich der Oper nicht ausliefern möchte, irgendwie was verpasst hat.
Aber ist da nicht so ein Erwartungsdruck, eine Art erwünschtes Verhalten? Die Oper ist eine ernste und wichtige Sache, also musst du das auch gut finden. Wenn ich aus der Oper rausgehe und sage, nö, hat mir jetzt nicht so gefallen, muss ich damit rechnen, dass ich einen schiefen Blick ernte. Wie beim Monaco Franze, dem man dann gesagt hat: Das war ein Jahrhundertereignis, nur Sie haben es nicht kapiert!
So sollte man das nicht sehen. Es gibt natürlich Stücke, die das sind, ernsthafte Stücke. Aber es gibt auch andere Sachen. Nicht für jedes Stück ist ein unglaublicher intellektueller Unterbau nötig. Das finde ich okay, muss ich ganz ehrlich sagen. Und ob man jetzt in ein Konzert von Bruce Springsteen geht oder in die Oper, man sollte sich von diesem gesellschaftlichen Druck befreien – so er denn überhaupt besteht.
Gibt es für Sie privat den einen Komponisten, von dem Sie sagen würden, das ist der Komponist meines Herzens?
Wenn ich etwas auf die berühmte einsame Insel mitnehmen würde, dann wären Bach und Mozart sicher dabei. Gut, Bach war definitiv kein Opernkomponist, außer man sagt, die großen Passionen haben irgendwo auch etwas Opernhaftes, mindestens von der Dramatik her. Vielleicht wundern Sie sich, dass jemand, der so leidenschaftlich und lange in der Oper tätig ist, nicht die großen italienischen Komponisten nennt. Natürlich finde ich dort immer wieder herausragende Komponisten, und ich möchte definitiv nicht ohne die Madame Butterfly leben müssen. Aber für mich sind die Italiener ein bisschen so, als wenn man ein unglaublich gutes Dessert hat, aber wenn man davon sechs Portionen essen muss, ist es zu viel. So geht es mir bei Mozart nie. Ich habe auch eine große Schwäche für französische Oper. Bei einem Puccini denke ich mir, gib mir mal eine Pause. Das ist etwas, was tatsächlich die Italiener ausmacht, oder einen Wagner zum Beispiel. Das hat auch eine unglaubliche Kraft, wenn man sich darauf einlässt.
Von Woody Allen gibt es das schöne Bonmot, er könne nicht lange Wagner hören, weil er sonst immer Lust bekomme, Polen zu besetzen …
Das ist aber schon sehr böse von Woody Allen!
Der ist immer ein bisschen böse.
Naja, Wagner selbst hat ja mit diesem Teil der Geschichte nicht viel zu tun gehabt, der war ja schon längst tot. Aber es ist tatsächlich so, dass in Wagners Musik halt irgendwie so was mitschwingt, was quasi den Kopf ausschaltet und die Emotion anschaltet.
Es ist schon sehr pompös, selbst für Opern-Verhältnisse. Ich vermute, dass Allens Zitat eher darauf abzielt, auf dieses Pompöse, Theatralische.
Ja, es ist natürlich sehr pompös, aber da gibt’s ja auch verschiedene, also die für mich zentralen Werke von Wagner, da muss man sich auch in der Tiefe emotional total ausliefern. Man muss beschließen, ich springe auf dieses Boot und fahre einfach mit, wo immer mich das hinbringen wird. Es gibt kaum Komponisten, bei denen man das schafft. Wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen, kann diese Musik wie eine Droge sein.
Es gab letztes Jahr in Bayreuth bei den Wagner-Festspielen eine Aufführung, die mit Buh-Rufen des Publikums geendet hat, weil der Regisseur eine, sagen wir mal, sehr freie Herangehensweise in der Interpretation des Stückes hatte. Wieviel Freiheit geben Sie ihren Regisseuren? Sind Sie eher Traditionalist oder lassen Sie es auch zu, wenn jemand sagt: So, den Wagner stellen wir jetzt mal komplett auf den Kopf!
Ich gehöre eindeutig ins zweite Lager. Ich kann mich sehr gut lösen von angestammten Ideen, wie was zu sein hat. Ich finde nicht, dass es heute noch so sein muss, wie es vor 50 Jahren war. Ich bin auch nicht jemand, der das vermisst. Aber natürlich, egal, ob man eine traditionelle Sicht hat oder eine moderne Sicht, dass das Resultat diese künstlerischen Kräfte zusammenbringt, das passiert bei traditionellen Produktionen genauso wie bei den modernen Interpretationen. Ein Stück auf die Bühne zu bringen ist immer ein Risiko, ein Abenteuer, und man weiß eigentlich nicht, ob alles so zusammenkommt, wie man es möchte.
So kennt man Oper: als große Inszenierung.
Foto: Wilfried Hösl
Ich habe mal den schönen Satz gelesen, dass es zwei musikalische Genres gäbe, in dem das Publikum besonders konservativ sei. Das eine sei die Oper und das andere Heavy Metal. Kann das sein, dass Metal- und Opernpublikum sich gar nicht mal so unähnlich ist?
Ich war wirklich noch nie in einem Heavy-Metal-Konzert. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass diese Fangemeinde genau weiß, was sie erwartet. Und ich glaube tatsächlich, dass das traditionelle Opernpublikum ähnlich tickt. Wir hatten hier mal eine Produktion, die mir persönlich sehr, sehr gut gefallen hat. Ich schaue mir auch gerne mal was total Abstraktes an. Aber klar, das muss nicht jedem gefallen. Hat es dann auch nicht.
Wie funktioniert etwas, was mit Oper zu tun hat, wenn es nicht innerhalb eines Opernhauses stattfindet? Muss man das dann reduzieren, umarbeiten? Oder ist es letztlich egal, ob jemand in einem großen Haus singt oder auf einer kleinen Bühne wie beispielsweise dem Seeforum in Rottach-Egern?
Es ist natürlich nicht dasselbe. Aber ich denke mir, dass diese Konzertform manchmal noch direkter und noch intensiver sein kann. Die Sänger, die sind nicht nur ein kleines Rädchen in einer großen Sache, und sie haben kein Kostüm, da gibt es kein Orchester. Das heißt, sie müssen sehr viel mehr sie selbst sein. Das macht es für das Publikum spannend. Weil man diese junge Persönlichkeit auf der Bühne sieht und nicht einfach eine kostümierte Opernperson. Das ist das Schöne am Singen. Natürlich müssen die ihre Töne so sauber wie möglich singen können, und der Text muss klar sein. All diese Dinge sind die Basis. Aber dass das etwas Einmaliges wird, hat damit zu tun, dass man die Persönlichkeit der Rolle, die man singt, sich so zu eigen macht, dass man es auf eine ganz individuelle Art und Weise rüberbringt.
Ist das vergleichbar mit dem, was in der Rockmusik eine Zeit lang diese Unplugged-Serie war, wo man einfach gesagt hat, wir ziehen jetzt mal alle Stecker und spielen die Sachen reduziert auf das, was akustische Instrumente können?
Das kann man absolut so sehen! Ich fand Unplugged immer sehr gut. Natürlich ist auch das große, perfekte Resultat eine schöne Sache. Aber unplugged ist man näher an den Menschen dran. Kann man natürlich nicht überall machen. Man braucht einen intimeren Rahmen dazu.
Also Oper unplugged im Seeforum Rottach-Egern, oder?
So können sie es wirklich nennen! Ein sehr guter Titel für das, was wir da machen werden. Und was ich auch sehr schön finde: Beim Opernstudio geht es um junge Sänger. Junge, talentierte Leute, die am Anfang ihrer Karriere stehen. Wie talentiert und gut die sind, zeigt auch diese kleine Zahl: Wir kriegen pro Jahr um die 950 Bewerbungen, von denen wir dann drei oder vier rauspicken. Man kann sich das so ein bisschen vorstellen wie „Deutschland sucht den Superstar“.
Und was ist dann der Job dieser „Superstar“-Jury“?
Wir versuchen, über unsere guten Ohren und über unsere Erfahrung die Leute zu finden, in denen wir etwas Besonderes sehen. Wir machen es uns zur Aufgabe, dieses ganz Besondere vielleicht noch mehr rauszubringen, noch mehr zu unterstützen. Denn im Endeffekt gibt es viele Menschen auf dieser Welt, die schön singen können. Aber man muss auch die Persönlichkeit haben und das ist manchmal ein weiterer Weg. Wenn man nicht fähig ist, seine Seele zu öffnen, dann ist man als Sänger im falschen Beruf.
Ja, wohl vor allem auf einer Opernbühne.
Stimmt, und das vor allem als junger Sänger. Ich will nicht sagen, dass das später weggeht, wenn man Vollprofi ist. Aber trotzdem, junge Menschen, die so eine emotionale Sache auf der Bühne tun, setzen ja auch so eine jugendliche Energie frei, was etwas unglaublich Schönes ist. Selbst wenn jemand nicht ganz ein Opern-Fan ist, da wird er spätestens richtig andocken können.
Opern-Gala – Mitglieder des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper, München, Arien und Ensembles unter anderem von Verdi, Offenbach und Donizetti.
Sonntag, 23. Juli 2023, 18.00 Uhr
Seeforum, Rottach-Egern
Monopoly Tegernsee
Die Seeseiten-Redaktion hat die Tegernsee Edition von Monopoly getestet. Die ist in zweiter Auflage erschienen.