Segellegende Sepp Höß

“Ich werde auch mit 90 noch segeln”

Er trotzte heftigen Stürmen und musste miterleben, wie 19 Segelkameraden beim Admiral’s Cup auf tragische Weise sterben. Doch Sepp Höß lässt sich weder von schlechtem Wetter noch von Schicksalsschlägen von seinem Weg abbringen. Dadurch wird der mittlerweile 88-Jährige zur deutschen Segellegende.

Text: Stefan Weber
Fotos: Urs Golling

Segellegende Sepp Höß

Sepp Höß heute – und klar, im Hintergrund sein geliebter See.

Er gewinnt in seiner langen Karriere unzählige Trophäen. Der Höhepunkt seiner beeindruckenden Biografie sind zwei Weltmeister-Titel. Dabei wird der „Süßwassersegler“ von der Konkurrenz anfangs noch nicht ganz ernst genommen – was sich aber schnell ändert. Nicht geändert hat sich hingegen seine Liebe zum Wasser. Auch im fortgeschrittenen Alter zieht es ihn immer noch auf Seen und das Meer.

Sepp Höß empfängt uns mit einem Lächeln im Gesicht vor einer urigen Bootshütte aus dem Jahr 1925. Hier in der Seestraße von Rottach- Egern, in der Egerner Bucht am Südufer des Tegernsees, beim Bootsverleih Reiffenstuel fing alles an. „Als kleiner Junge bin ich nach der Volksschule auf meinem Heimweg immer hier vorbeigekommen und habe stundenlang die Boote bewundert. Der Bauernhof meiner Eltern war nur ein paar Meter entfernt.“

In seinen Gedanken malt sich der junge Sepp aus, wie es wäre, selbst auf einem der kleinen Boote mitfahren zu dürfen. Beim Segelverleiher Reiffenstuel bemerkt man die leuchten- den Augen des Schulbubs. Schließlich wird der große Traum von Sepp Höß wahr. Er darf endlich mit einem kleinen Segelboot über das Wasser gleiten. Und es kommt noch besser: Sepp darf sogar das Steuer übernehmen. Ab diesem Moment ist er dem Segelsport verfallen. Jede freie Minute verbringt er auf dem Tegernsee.

Sein Potenzial wird schnell erkannt

Glücklicherweise erkennt man beim Bootsverleih Reiffenstuel, welches Segel-Potenzial in dem Schüler steckt. Er darf seinen Segelschein machen, wird anschließend Segelführer. Da ist er gerade einmal 10 Jahre alt – und verdient bereits sein eigenes Geld: „Ein Jahr nach dem Ende des 2. Weltkriegs setzte der Tourismus im Tegernseer Tal wieder ein. Ich habe täglich Touristen acht Stunden lang über den Tegernsee gefahren und dabei ordentlich Trinkgeld bekommen.“ Davon bekommt sein Vater gar nichts mit. Der wird erst ein Jahr später aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Der Vater ist überrascht, als er seinen elfjährigen Sohn, den er acht Jahre nicht gesehen hat, endlich wieder in die Arme schließen kann.

Segellegende Sepp Höß

Ein Mann und sein Boot, beide schon lange Legende: Sepp Höß ist auch mit 88 immer noch begeisterter Segler.

Denn Sepp kann inzwischen perfekt segeln, trägt zum Familieneinkommen bei und spricht auch noch lupenreines Hochdeutsch. „Die Feriengäste haben mich am Anfang gar nicht richtig verstanden. Die kamen aus Düsseldorf, Hamburg und Berlin und konnten mit meinem Bayrisch nichts anfangen. Da musste ich mich anpassen. Nach meiner ersten Saison sprach ich fehlerfrei hochdeutsch ohne den kleinsten bayrischen Akzent.“ Auch seine schulischen Leistungen profitieren von der neu erlernten „Fremdsprache“. Seine Noten im Fach Deutsch verbessern sich von 4 auf 2. Als ein Jahr später 1947 der Yacht-Club wieder eröffnet wird, nimmt er an den ersten Regatten teil, die dort stattfinden. Der Elfjährige erzielt gute Ergebnisse und wird anschließend zu Regatten auf anderen Seen geschickt.

Nach seinem Schulabschluss muss er sich zunächst von seiner großen Leidenschaft verabschieden. Sepp Höß macht in München eine Ausbildung zum Konditor. Da er nur noch an den Wochenenden und im Urlaub rausfahren kann, fehlt ihm das Wasser – sein Lebenselixier. Er beschließt, die große weite Welt zu entdecken. So kann er nicht nur fremde Kulturen kennenlernen, sondern vor allem endlich wieder zur See fahren, wenn auch nicht auf einem Segelboot. Eine Reederei in Hamburg stellt den mittlerweile 19-Jährigen schließlich als Kochsmaat-Bäcker ein. Auf dem Passagier-Frachter „Santa Elena“ ist er für die Verpflegung verantwortlich. Seine erste Reise führt ihn im Jahr 1955 nach Südamerika. Es folgen viele weitere. Insgesamt fährt er sechs Jahre über die Weltmeere.

Ein Café sichert den Lebensunterhalt

Im Jahr 1961 kehrt er schließlich nach Rottach-Egern zurück. Ihm fehlt seine Heimat – und vor allem der Segelsport. Aber wie soll er seinen Lebensunterhalt bestreiten? Da kommt Sepp Höß die zündende Idee. Er eröffnet im „Malerwinkel“ ein Tagescafé, in dem er seine gebackenen Kuchen und andere Leckereien anbietet. Eine brillante Entscheidung. „Das war genial. Nach der Arbeit konnte ich immer ein paar Runden auf dem Tegernsee drehen.“ Es zeigt sich schnell, dass Sepp Höß auch nach sechs Jahren auf hoher See nichts von seinem Segeltalent verloren hat, obwohl der Tegernsee nicht gerade als Region gilt, in der große Segelkarrieren ihren Anfang nehmen.

Sepp Höß

So war es früher: Sepp Höß quasi bei der Arbeit.
Foto: privat

Das ist auch Sepp Höß klar, wie er berichtet: „Wer am Meer aufwächst, hat natürlich einen Vorteil beim Segeln. Aber das war mir egal. Ich habe aus Spaß mit dem Segeln angefangen und nicht um Titel abzuräumen.“ Vielleicht ist es gerade diese Leidenschaft, die ihm dennoch zum Erfolg verhilft. Denn bei Wettbewerben gewinnt er unzählige Preise in verschiedenen Klassen. „Meine Spezialität war das Steuern von Spinnakern mit großen, bauchig geschnittenen Vorsegeln. Ich habe mich aber auch auf 20 Meter langen Rennyachten mit 15 Mann Besatzung wohlgefühlt.“ Im Jahr 1966 erringt er seine erste Deutsche Meisterschaft. Da ist Sepp Höß 30 Jahre alt.

Es folgen noch sechs weitere nationale Erfolge. Auch bei der Hundert-Meilen-Regatta am Gardasee, der legendären „Centomiglia“, siegt er zweimal. Gerade die „Centomiglia“- Teilnahmen bleiben ihm bis heute in bester Erinnerung: „In Italien war ich bekannt wie ein bunter Hund. Ich war groß und blond, ein deutscher Hüne eben, den man schon von Weitem erkennt. Ich habe heute noch Kontakt zum dortigen Bürgermeister.“

Doch so schön die Seen rund um die Alpen auch sein mögen, sie sind begrenzt. Sepp Höß will rauf aufs Meer und Untiefen sowie Stürmen die Stirn bieten. Eine lebensgefährliche Idee. Im Jahr 1979 sterben auf tragische Weise 19 seiner Seglerkollegen beim jahrzehntelang bedeutendsten Segelwettbewerb für Hochseeyachten, dem Admiral‘s Cup. Die Regattateilnehmer wurden plötzlich von einem Orkan wie aus dem Nichts mit Windgeschwindigkeiten von über 100 km/h überrascht. 19 Segler kommen in den Fluten ums Leben.

Der „Süßwassersegler“ vom Tegernsee wird zweimal in Folge Weltmeister

Viele würden nach so einer furchtbaren Katastrophe zweimal überlegen, sich dieser Herausforderung zu stellen. Beim Admiral‘s Cup sind die Segler sechs Tage und Nächte ununterbrochen gefordert. Der kleinste Fehler kann zum Tod führen. Dennoch geht Sepp Höß beim nächsten Admiral‘s Cup, der zwei Jahre nach dem Unglück stattfindet, an den Start. Dabei sammelt er wertvolle Erfahrungen, die sich bald auszahlen sollen. In den Jahren 1983 und 1984 erreicht er eine Sensation. Der „Süßwassersegler“ vom Tegernsee wird zweimal in Folge Weltmeister! Zwei weitere Vize-Weltmeister-Titel folgen. Immer wieder kommt es dabei zu brenzlichen Situationen auf dem Wasser, wie sich Sepp Höß erinnert: „Vor Japan sind wir einmal in einen Taifun geraten. Ich lag bereits in meiner Koje. Plötzlich wurde ich aus meinem Stockbett regelrecht herausgeschleudert. Beim Sturz riss ich das Waschbecken aus der Wand. Verletzt habe ich mich glücklicherweise nicht. Ich hatte immer meinen Schutzengel an meiner Seite.“

Erinnerungen: In seinem langen Segler-Leben sind viele Bilder zusammen gekommen.
Foto: Urs Golling

Im Mai wurde Sepp Höß bereits 88 Jahre alt. Auch wenn seine Trophäen-Sammlung mittlerweile ganze Vitrinen füllt, denkt er nicht an seine Segel-Rente. Die Segelsport-Legende steht noch immer regelmäßig hinterm Steuerrad und räumt sogar noch Preise ab. Die Zeit dafür hat er, nachdem er schon vor etlichen Jahren den „Malerwinkel“ an seinen Sohn Thomas übergeben hat. Bei der legendären Regatta für Traditionsyachten am Attersee in Österreich erreicht Sepp Höß im August 2022 mit einer außergewöhnlichen Leistung den 1. Platz. Im letzten Jahr wird er im Drachenboot Zweiter. Es müssen aber nicht immer Wettbewerbe sein. Nach wie vor macht es ihm einfach Spaß auf dem Wasser zu sein. Begleitet wird er dabei von seiner Enkelin Anna-Gloria oder von seiner Lebensgefährtin Jutta, die beide ebenfalls leidenschaftliche Seglerinnen sind.

Er ist 88 – und denkt nicht an Rente

Viele wären in dem Alter froh, wenn sie seine körperliche und geistige Fitness hätten. Wie lautet sein Geheimrezept, um jung zu bleiben? „Ich habe immer viel Sport getrieben. Neben dem Segeln habe ich in Bad Wiessee Tennis gespielt. Und seit 76 Jahren bin ich Mitglied beim FC Rottach, wo ich sehr lange Fußball gespielt habe. Als gebürtiger Rottacher kann ich natürlich auch gut Skifahren. Im Jahr 1965 habe ich zum Beispiel das Ski-Yachting in Cannes gewonnen. Da treten Segler bei einem Skirennen gegeneinander an.“ Daher verwundert es nicht, dass er auch in Zukunft weiter aufs Wasser fahren wird. „Ich werde sicher auch mit 90 Jahren noch segeln. Nirgendwo kann man besser die Natur genießen.“

Sepp Höß im und mit Siegerkranz.
Foto: privat

  • Brauen und Wimpern Styling

    Das Styling von Wimpern und Brauen ist auch am Tegernsee der große Trend.