Konzertmeister Thomas Reif
Von Händel bis Headbanging
Für den Fall, dass Sie von einer Band namens „Dream Theater” noch nie gehört haben: Thomas Reif mag die Heavy-Metal-Truppe sehr. Das wäre keiner Erwähnung wert, wäre Reif nicht Konzertmeister beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Und außerdem ein international beachteter Violinist. Da vermutet man eine Affinität zum Thema Heavy Metal eher weniger. Allerdings lässt sich Reif ohnehin nicht gerne in eine Schublade packen. Am Tegernsee beispielsweise tritt er mit einem Quartett auf, das sich ganz dem Tango verschrieben hat.
Text: Christian Jakubetz
Leidenschaft Violine: Thomas Reif mit seinem favorisierten Instrument.
Foto: Liv Øvland
Wäre er nicht das, was er ist – in einem anderen Leben wäre er womöglich Bassist oder Gitarrist in einer Rockband geworden. Das erzählt Reif auf der Webseite des Symphonieorchesters des BR selbst über sich. Kein Wunder also, dass man zum Gespräch einen 34-Jährigen trifft, der so ganz und gar nicht in irgendwelche Vorstellungen passt, die man womöglich von so einem Konzertmeister und 1. Violinisten hat. Das kann daran liegen, dass solche Vorstellungen meistens ohnehin Unsinn sind. Oder daran, dass dieser Thomas Reif tatsächlich ein ungewöhnlicher Typ fern aller Klischees ist.
Reden wir mal über Bach, über Schumann, über Piazolla und über Tarantino. Die stehen in der Programmankündigung Ihres Auftritts am Tegernsee. Was ist das denn für eine wilde Mischung und vor allem, wie sind Sie darauf gekommen?
Das bezieht sich auf unser aktuelles Tango-Programm. Wir haben da auch immer Flexibilität drin, wir spielen nirgendwo das ganz gleiche Programm. Jetzt haben wir zum ersten Mal in unserem Programm die argentinischen Tangos mit klassischer Musik verwoben. Und zuletzt haben wir das eben mit Bach und Schumann gemacht. Also haben wir sozusagen die Kontrapunktik von Bach genommen und dann mit Tangos verbunden. Und dann haben wir uns auf Schumann bezogen, der
eben kleine Stücke geschrieben hat, die kanonische Etüden sind.
Das passt zusammen?
Ja, das hat wunderbar zusammengepasst. Ab und zu machen wir das. Normalerweise spielen wir natürlich rein argentinische Tangos.
Normalerweise ist es ja so, dass man Musiker gerne in Schubladen steckt. Bei jemandem, der Tango und Klassik spielt, ist das nicht so ganz einfach.
Das ist tatsächlich schwierig. Man kann und will sich nicht in eine Schublade stecken lassen und das geht mir auch so. Natürlich ist der Hauptteil meiner Tätigkeit in der klassischen Musik als klassisch ausgebildeter Geiger. Aber die Grenze ist immer fließend. Ich bin jetzt zum Beispiel kein Jazzgeiger. Aber in der Musik der 20er Jahre, der 30er Jahre, der klassischen Moderne, da vermischt sich schon vieles. Ich habe immer die Meinung vertreten, dass Tangomusik auch eine Art von Musik ist, die einfach fantastisch sein kann. Das Spannende ist ja, dass man die Quellen hat. Man kann diese alten Schallplattenaufnahmen hören. Und man kann sich total in diese Musik hineinversetzen, man kann sich damit beschäftigen und dann gehe ich eigentlich an diese Musik genauso heran wie an alles andere.
Das Cuarteto SolTango mit (von links) Karel Bredenhorst, Andreas Rokseth, Martin Klett und Thomas Reif.
Foto: Andrej Grilc
Wie sind Sie überhaupt zu dieser Musik gekommen? Tango ist ja nichts, was jeden Tag irgendwo im Radio läuft.
Ich wollte schon sehr früh Musik machen, ich komme zudem aus einem musikalischen Elternhaus. Aber ich kann mich jetzt nicht an einen Schlüsselmoment erinnern, in dem ich gesagt habe, ich will Geige spielen. Eher war es so, dass ich in Rosenheim mit meinen Eltern schon viel in Konzerte gegangen bin und habe dann irgendwann beschlossen, ich will Geige spielen. Aber ich habe nicht zuerst gesagt, ich muss klassische Musik machen und deswegen will ich Geige spielen, sondern ich glaube, es ist viel über das Instrument gekommen. Ich habe schon immer die Liebe zu anderen Musikstilen gehabt, also Rock- und Popmusik beispielsweise auch. Diese verschiedenen Musikrichtungen, die waren bei uns zu Hause immer präsent. Und dass ich dann tatsächlich später zum Tango gekommen bin, das hat dann erst mal gar nicht direkt damit zu tun.
Diesen Groove, dieses Feeling, das ein Tango braucht, kann man das lernen? Ist das wirklich nur eine Sache der Technik, diesen Groove irgendwo auch haben?
Man braucht schon ein gewisses Gespür dafür. Das ist fast immer in der Musik so. Man braucht auch ein Gespür, um Mozart zu spielen. Das sind Welten, die völlig unterschiedlich sein können. Ich glaube, wenn man den Bezug dazu hat, zur Musik und auch eine Leidenschaft dafür, dann istdas super, wenn man das macht. Die Liebe zur Musik, die muss da sein und die Neugier. Und dann natürlich auch schon dieses Bewusstsein, dass man trotzdem noch viel lernen kann.
Gibt es von diesen ganzen Sachen, die Sie gerne hören, die Sie gerne spielen, einen Favoriten? Oder ist das situationsbedingt?
Eher letzteres. Man wird immer gerne nach dem Lieblingskomponisten gefragt und das fällt mir sehr, sehr schwer. Weil es jede Woche anders ist. Was ich schon sagen kann: Ich wollte schon immer in und mit einem großen Symphonieorchester arbeiten. Das war immer schon meins, da wollte ich hin. Und schon auch in einer bestimmten Funktion, in der ich jetzt auch bin als Konzertmeister.
Ein Quartett, das perfekt in den Rahmen von Gut Kaltenbrunn passt: das Cuarteto SolTango.
Foto: Andrej Grilc
Warum eigentlich genau das?
Eben wegen der großen Symphonik, also Strauss, Mahler, Bruckner, Wagner. Das war etwas, was ich in so einem Orchester machen wollte. Ich liebe Mozart und die Mozart-Sinfonien und wenn man das gut spielt, dann gibt es in dem Moment nichts Besseres. Gleichzeitig steckt in einem dreiminütigen Tango eine ganze musikalische Welt. Und ich bin froh, dass ich nicht entscheiden muss: Kann ich das weitermachen und muss auf alles andere verzichten? Ich kann schon sagen, dass ich mich emotional oft mehr zu Händel und Vivaldi hingezogen fühle als zu Bach oder mehr zu Mozart als zu Beethoven. Aber sobald man eine tolle Beethoven-Sinfonie auf der Bühne spielt, stimmt das wieder nicht. Vielleicht verstehen Sie, was ich meine. Natürlich gibt es Musik, für die man mehr brennt als für andere, aber dann gibt es überall wieder etwas ganz Tolles. Und ich will auch gar nicht sagen, welcher Komponist mich dann vielleicht nicht so begeistert. Das wäre zu absolut und vielleicht in dem Moment auch falsch.
Apropos Kompositionen, wie groß wäre für Sie der Reiz, eigene Stücke nicht nur auf Papier zu bringen, sondern sie auch aufzuführen?
Eigene Stücke zu komponieren, das hat mich bisher nicht gereizt. Es ist erstaunlicherweise einfach so. Was ich selbst geschrieben habe, sind Kadenzen für Mozart- und Haydn-Konzerte sozusagen. Aber das ist natürlich etwas anderes als etwas völlig Neues zu komponieren.
Sie sind ja sehr viel unterwegs in diesem Beruf, wie ist das für Sie? Kommt man da nicht irgendwann an den Punkt, wo man sagt, ich möchte jetzt einfach mal ein bisschen mehr Zeit zu Hause verbringen, nicht nur schnell die Wäsche in die Maschine stopfen, rausholen und wieder los?
Das ist eine gute, ausgewogene Mischung bei mir. Dadurch, dass ich den Job in München habe, beim Bayerischen Rundfunk, beim Symphonieorchester, bin ich schon hauptsächlich hier. Natürlich haben wir Tourneen, so wie jetzt, wir haben gestern in Köln gespielt und übermorgen fliegen wir nach Amerika. Das ist genau das, was ich an dem Beruf liebe: dass man herumkommt, dass man die Welt sieht. Dass ich in meiner Orchesterfreizeit sozusagen dann mit dem „Cuarteto SolTango“ unterwegs bin, das ist schön. Aber ich genieße es, dass ich schon mehr zu Hause sein kann.
Wenn man Ihnen so zuhört, klingt das alles sehr zielstrebig. Ist das alles wirklich nach Plan verlaufen? Oder waren auch Zufälle dabei?
Ich glaube, ich wäre immer Musiker und Geiger geworden. Ich habe mir während des Studiums immer wieder überlegt, was ich gemacht hätte, wenn ich nicht Geiger geworden wäre. Oder was, wenn der große tragische Unfall passiert und ich nicht mehr Geige spielen kann? Dann hatte ich nie einen Plan B. Ich wusste nicht wirklich, was ich hätte machen sollen. Und das fand ich auch immer schön, weil ich dann gedacht habe, dann bin ich da wirklich richtig, dann will ich das auch wirklich machen. Dass natürlich jede Station im Studium auch entscheidend ist für das, was später passiert, das ist klar …
Aber klar, es ist schon so, dass viel Glück auch immer dazu kommt.
Ein ungewöhnliches Quartett: Thomas Reif (links) spielt mit dem „Cuarteto SolTango“ am Tegernsee. Und zwar Tango mit gelegentlich unerwarteten Einflüssen.
Foto: Liv Øvland
Haben Sie bei all dem, was Sie machen, überhaupt noch Zeit für irgendetwas, was nicht mit Musik zu tun hat?
Im Moment selten, weil im Moment wirklich viel Arbeit ist. Ich bin auch im Orchestervorstand, das ist quasi ein Ehrenamt, da muss man viel seiner Freizeit opfern und sich um Dinge kümmern, die nicht musikalischer Natur sind. Die letzten beiden Jahre hatte ich etwas weniger Zeit, aber ich nehme mir diese Zeit dann schon. Sonst gehe ich raus und treffe mich mit Freunden. Oder wenn ich frei habe, fahre ich mit meiner Frau. Die ist Pianistin. Dann fahre ich mal mit und kann ihr zuhören. Und dann bin ich mal weg von zu Hause. Sich abends mit Freunden treffen und einen guten Wein trinken. Dafür muss immer Zeit sein.
Sie haben ganz am Anfang unseres Gesprächs gesagt, Sie mögen natürlich auch Popmusik, Rockmusik. Sie haben auch mal auf der Website des BR gesagt, in einem anderen Leben wären Sie vielleicht Rockmusiker geworden. E-Bass oder Gitarre oder so. Das führt natürlich zwangsläufig zu der Frage: Wenn Sie jetzt eine Band Ihrer Wahl zusammenstellen könnten und dann 90 Minuten Coverversionen spielen: In welche Richtung ginge das?
Classic Rock oder Progressive Rock. Und ein bisschen in Richtung Metal.
Die perfekte Ergänzung zu Schumann, Bach und Tango ist demnach Heavy Metal?
Ganz anders. Das ist auch etwas, was sich über die Jahre verändert hat. Wahrscheinlich ist immer noch „Dream Theater“ drin. Das war in meiner Jugend, das war meine Lieblingsband. Die mag ich immer noch wahnsinnig gerne, vor allem die alten Aufnahmen. Aber so was verändert sich natürlich mit der Zeit. Das stimmt.
Sie haben dieses Jahr schon in den USA gespielt, bald spielen Sie in Tegernsee, wo alles ein bisschen beschaulicher ist. Wie schwierig oder wie schön ist es, von den USA an den Tegernsee zu wechseln, oder ist es für Sie egal, wo Sie spielen?
Es ist nicht egal, weil es wichtig und schön ist, diese Kombination zu haben. Es kommt einfach auf das Ensemble an und auf das Programm. Es gibt einfach Programme und Settings, und dazu gehört natürlich ein großes Sinfonieorchester, das will man in den großen Sälen spielen. Mit einer Kammermusik ist ein intimer Rahmen viel schöner. Und auch mit dem Tango-Quartett ist ein Rahmen, bei dem man mit dem Publikum reden kann, schön. Es muss passen und da haben wir ganz unterschiedliche Settings. Wir haben auch schon in Kneipen gespielt. Zwar selten, aber wenn wir das gemacht haben, war das eine tolle Atmosphäre. Wir haben auch in größeren Hallen gespielt. Manches passt besser in eine Kirche. Manches passt besser in einen ganz kleinen historischen Kammermusiksaal. Wenn ich mir vorstelle, man spielt ein Streichtrio von Mozart, dann finde ich eine intime, sehr intime Atmosphäre am schönsten. Weil das zur Musik passt.
Cuarteto SolTango, Tango und mehr
4. Juli 2024, 19 Uhr
Tenne, Gut Kaltenbrunn
Thomas Reif, Violine;
Karel Bredenhorst, Violoncello;
Andreas Rokseth, Bandoneon;
Martin Klett, Klavier.
Musik von Bach und Schumann über Piazzolla, Tarantino und Demare hin zur klassischen Tangomusik
Ja, Händel ist prima, aber an und an darf es auch mal Heavy Metal sein: Thomas Reif.
Foto: Andrej Grilc
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