Buch über Gmunder Vorfahren
Von der Almbäuerin bis zum Kanzler
Das Tegernseer Tal ist voll mit guten Geschichten. So vielen, dass sie verloren gingen, wenn man sie nicht aufschreiben und erzählen würde.
Von zwei der bekanntesten Geschichten-Erzählern des Tals gibt es jetzt ein neues Buch. Entstanden ist es ziemlich „old school“. Kein Wunder, mit Beni Eisenburg ist einer der Autoren ja auch schon 88.
Text: Stefan Weber
Fotos: Urs Golling, privat
Der 88-jährige Beni Eisenburg aus Dürnbach ist seit Jahrzehnten DIE Legende der Tegernseer Heimatforscher.
Das Leben schreibt manchmal die besten Geschichten: Bei einer Veranstaltung in Gmund laufen sich zufällig Beni Eisenburg und Gerhard Seidl über den Weg. Beide sind sich sofort sympathisch und teilen auch noch die gleiche Leidenschaft: die Liebe zur Heimat und die Begeisterung für Geschichten aus dem Tegernseer Tal. Ab
sofort treffen sich die beiden regelmäßig einmal pro Woche, tauschen sich aus und fachsimpeln, was das Zeug hält. Am Ende entsteht die Idee, ein Buch zu veröffentlichen. Vor allem der mittlerweile 88-jährige Beni Eisenburg, bekannter Chronist und Heimatpfleger im Tegernseer Tal, verfügt über einen unfassbaren Wissensschatz.
Seit mehr als 36 Jahren bereichern seine Beiträge über Menschen, Bräuche oder Vereine die Tegernseer Nachrichten. Viele einmalige Geschichten wären ohne Beni Eisenburg verloren gegangen. Als vor drei Jahren im Herbst 2021 sein erstes Buch „A Bleame auf’m Huat“ mit 333 Geschichten rund um das Tal erscheint, ist es bereits vor Weihnachten ausverkauft und muss nachgedruckt werden. Damals sagt er noch: „Ich plane aktuell kein zweites Buch. Das ist schon sehr viel Arbeit und ich werde ja auch nicht jünger.“ Trotzdem gibt es jetzt ein weiteres Werk mit seiner Beteiligung: „Originale und Persönlichkeiten aus Gmund 1548–2023“ gibt es ab Oktober 2024 zu kaufen.
Das neue Buch ist 100 Prozent Gmund
Wer das neue Werk ersteht, hält ein hundertprozentiges Gmunder Original in seinen Händen. Das Buch ist aus feinstem Büttenpapier der dort ansässigen Papierfabrik gefertigt. Auch inhaltlich geht es ausschließlich um Personen, die in Gmund gelebt und gewirkt haben. Sagenhafte 178 Persönlichkeiten werden hier porträtiert, vom ehemaligen Bundeskanzler Ludwig Erhard, über Hanns und Simon Reiffenstuel, die bereits im 17. Jahrhundert die weltweit erste „Pipeline“ bauten bis hin zum Wilderer Johann „Lampl“ Burger findet man hier höchst spannende Geschichten.
Das Triumvirat der Tegernseer Heimatforscher: Autor Beni Eisenburg, Herausgeber Dr. Herbert Rausch und Autor Gerhard Seidl (v.l.) vor dem Jagerhaus Gmund.
Es ist eine bunte, äußerst lesenswerte Mischung aus Originalen und Persönlichkeiten, so wie es der Buchtitel verspricht. Zu den Persönlichkeiten zählen neben Ludwig Erhard, der auf dem Gmunder Bergfriedhof seine letzte Ruhestätte hat, beispielsweise auch Johann Mannhardt, eine Halbwaise aus Gmund, dessen Vater stirbt, als Johann gerade einmal 6 Jahre alt ist. Als „Kühbub“ muss er bald sein Brot selbst verdienen. Bei Uhrmachermeister Deisenrieder in Gmund lernt er schließlich die Uhrmacherei.
Der junge Johann entpuppt sich als Naturtalent. Er spezialisiert sich auf präzise gehende Turmuhren. Die Nachfrage ist gigantisch. Kirchen, Bahnhöfe und Rathäuser in aller Welt werden mit den einzigartigen Uhren ausgestattet. Allein in Bayern gibt es damals über 200 Mannhardt-Uhren. In München baut er eine Uhr für den Dom. Auch für den Vatikan liefert er eine Uhr inklusive Zifferblatt und zwei Glocken.
Auch die beeindruckende Pionierleistung der Brüder Hanns und Simon Reiffenstuel wird hier geschildert. Zur Salz-Gewinnung sind im 16. Jahrhundert enorme Mengen Holz nötig. Allein die Saline Reichenhall verschlingt im Jahr bis zu 180.000 Ster Holz. Der Raubbau an der Natur führt dazu, dass rund um Reichenhall Holz zur Mangelware wird. Die Saline wird daher nach Traunstein verlegt, da es hier noch genügend Bäume gibt.
Allerdings wird dazu eine 31 Kilometer lange Soleleitung benötigt, die zudem noch auf den ersten 14 Kilometern eine Steigung von 250 Meter überwinden muss. Unglaubliche 9.000 Holzrohre von je vier Metern Länge wurden benötigt, um diese Satzwasserleitung zu bauen. Dennoch schaffen es Vater und Sohn die erste „Pipeline“ der Welt in nur zweieinhalb Jahren zu errichten. Im August 1619 ist die Fertigstellung. Tragisch: Hanns und Simon Reiffenstuel sterben nicht einmal ein Jahr nach der „Pipeline“-Einweihung.
Sagenhafte Geschichten
Spannend ist auch die Geschichte von Max Obermayr. Der damals 16-jährige Max fährt im August 1837 in die Schweiz, um Vieh zu kaufen. Er ersteht zwölf Kühe, zwei Ochsen, drei trächtige Rinder und einen 17 Zentner schweren Stier. Zurück in der Heimat kreuzt er die Rinder mit heimischen Rassen. Es entsteht das Simmentaler Fleckvieh.
Auch der russische Zar Nikolaus wird auf die schönen Tiere aufmerksam. Er bestellt bei Max Obermayr mehrere Kühe. Der Gmunder scheut
keine Mühen und macht sich mit sechs Treibern aus dem Zillertal von Gmund auf den Weg nach St. Petersburg. Und zwar zu Fuß! Die Gruppe startet im Oktober 1851, trotzt dem harten russischen Winter und erreicht schließlich nach mehr als 2.000 Kilometern im Mai 1852 die damalige Hauptstadt des russischen Kaiserreichs. Als Belohnung bekommt er von einem russischen Minister die goldene Ehrenmedaille verliehen.
Wilderer, Künstler, Erfinder: 178 Persönlichkeiten werden in dem Buch porträtiert, das im Oktober 2024 erscheint.
Nicht minder spannend ist die Geschichte von Johann Burger, besser bekannt als Wildschütz Lampl. Der am 2. April 1822 in Reichersbeuern geborene Sohn eines Kleinbauern arbeitet als Holzarbeiter. Doch in seiner Freizeit tauscht er Hacke und Säge regelmäßig mit einem Stutzen, ein kurzes, besonders handliches Jagdgewehr und geht der Wilderei nach. Die örtlichen Jäger versuchen dem Wilderer das Handwerk zu legen, doch er kann ihnen immer wieder entkommen.
Unbekanntes über Ludwig Thoma
Auch bislang unbekannte Geschichten über bedeutende Persönlichkeiten, wie den Schriftsteller Ludwig Thoma findet man hier. Bereits im Jahr 1902 mietet er sich mit seiner Schwester Bertha, dem ehemaligen Kindermädchen Viktoria, genannt Viktor, und Bruder Peter beim Bauern Six in Finsterwald ein. In einem Brief an den Verleger Albert Langen schreibt er: „In meinem reizenden Bauernhäusl fühle ich mich sauwohl.“ Im gleichen Jahr ist er zwei Monate zu Gast bei Albert Langen in Paris. Als er anschließend wieder zum Bauern Six zurückkehrt, notiert er: „Das war wirklich wie Heimkehr in die alte, so lang entbehrte Welt. Über die Vorberge schauen die Gipfel des Roß- und Buchsteins herüber. Am gemütlichsten saß es sich in der kleinen Küche, wenn ein paar Nachbarn zum Heimgarten kamen und die Pfeifen zu breit ausgesponnenen Reden brannten oder wenn die Sixbäuerin mit der Viktor uralte Kochrezepte austauschte.“
Vor der malerischen Kulisse der Mangfall wurden die einzigartigen Geschichten über bedeutende Persönlichkeiten aus Gmund zusammengetragen.
Doch wo gräbt man eigentlich diese einmaligen Geschichten aus? Autor Beni Eisenburg bekommt dieses Wissen quasi in die Wiege gelegt: „In meiner Familie war die Heimatforschung allgegenwärtig. Mein Vater hat damals Beiträge über Heimat und Brauchtum für eine Zeitung geschrieben. Daheim in Gmund hatten wir viele Bekannte und Freunde, die sich oft bei uns getroffen und alte Geschichten von den Groß- und Urgroßvätern erzählt haben. Bereits als Kind lauschte ich gespannt und interessiert diesen Erzählungen!“
Später setzt er die Arbeit des Vaters fort, recherchiert, spricht mit unzähligen Leuten, schreibt Artikel. Dabei hilft ihm, dass der heute 88-jährige Beni Eisenburg eine eigene Trachtenschneiderei führt. „Zu unseren Kunden zählten Adelige und auch viele Volksmusiker. Von meiner Arbeit, aber auch von meinen Auftritten als Moderator bei Volksmusik-Veranstaltungen und als Tanzführer beim Volkstanz, habe ich enorm profitiert. Ich bin gut im Tegernseer Tal vernetzt.“
Eine Recherche ganz ohne Internet
Die Recherche ist beschwerlich und zeitintensiv. „Auch wenn das heute unvorstellbar ist: Ich habe das alles ganz ohne Internet geschafft! Das gab es bei uns 1987 ja noch gar nicht. Ich habe mit vielen Leuten gesprochen. Das hat sich gelohnt. Die persönlichen Gespräche sind die besten Quellen.“
Ihn treibt vor allem die Faszination für die Heimat an: „Unser Tegernseer Tal ist absolut einzigartig. Schon vor 200 Jahren kamen das Wittelsbacher Königshaus, Prominente, Künstler und Schriftsteller an den Tegernsee. Und diese Leute haben sich gut mit dem einfachen Volk verstanden. Ob es die Familie Stieler war oder der Schriftsteller Franz von Kobell, der sich für seinen Brandner Kaspar von der Gegend und besonders den Menschen hier inspirieren ließ. Es war immer ein gutes Miteinander. Und das ist weitgehend bis heute so geblieben.“
Seeseiten-Autor Stefan Weber im Gespräch mit Herausgeber Dr. Herbert Rausch (r.) im Jagerhaus Gmund.
Für sein Hobby geht viel Zeit drauf: „Freizeit hatte ich so gut wie gar keine. Während meine Spezln ins Kino, bei schönem Wetter zum Baden gingen oder sich im Bräustüberl vergnügten, war ich auf der Jagd nach alten Fotos. Für manche klingt das verrückt. Aber ich bereue es nicht.“
Die Erfahrung, dass die Heimatforschung ein echter Zeitfresser ist, musste auch Autor Gerhard Seidl machen, der seit vielen Jahren in Gmund lebt. „Wir haben ein Dreivierteljahr ausschließlich und durchgängig an dem Werk gearbeitet. Das habe ich unterschätzt. Aber mir hat die Arbeit großen Spaß gemacht. Und sie hält mich geistig fit.“
Glücklicherweise hat Herausgeber Dr. Herbert Rausch Beni Eisenburg und Gerhard Seidl viel Arbeit abgenommen. Der studierte Maschinenbauer wuchs in Gmund auf. Auch er führt wie Beni Eisenburg das Erbe seines Vaters Waldemar Rausch weiter: „Mein Vater war Schulrektor in Gmund, saß im Gemeinderat und war Mitglied in zahlreichen Vereinen. Vor gut 30 Jahren gründete er den Verein Heimatfreunde Gmund, dessen Vorsitzender er viele Jahre war.“ Herbert Rausch hat bei allen Geschichten für den Feinschliff gesorgt, sich um die Optimierung der historischen Fotos gekümmert. So entstand mit vereinten Kräften innerhalb eines Jahres das Buch. “Ohne seine Mithilfe wäre das Projekt nie realisiert worden“, sagt Beni Eisenburg. Ihm geht es vor allem darum, die alten Geschichten am Leben zu halten: „In dem Buch zolle ich Respekt vor unseren Vorfahren, die so viel geleistet haben. Sie sollen und dürfen nicht vergessen werden.“
Das Buch gibt es seit Oktober 2024 zum Preis von 29,90 Euro im Fachhandel oder im Jagerhaus Gmund in der Seestraße 2.
Auch eine Bestellung per Mail ist möglich unter info@jagerhaus-gmund.de.
Gut pariert ...
Helmfried von Lüttichau ist Schauspieler, Kabarettist und eine One-Man-Show.