Trend Eisbaden

SCHEE IM SEE

Winterbaden liegt im Trend, die positive Wirkung des eiskalten Wassers wird zunehmend medizinisch erforscht. Unsere Autorin wagte den Selbstversuch und begleitete zwei passionierte Ganzjahresschwimmerinnen an den Tegernsee.

Text: Susanne Mayr-Flach
Fotos: Urs Golling

Winterbaden Eisbaden im Tegernsee

Seit 2018 schwimmen die beiden Freundinnen Anita und Angela fast jeden Tag im See.

Es ist ein trüber Herbsttag, ein eisiger Nordostwind weht, Nebel hängt über dem 8 Grad kalten See. Ich bin mit Anita Sabino und Angela Mielke verabredet. Aber nicht zum Spazierengehen, sondern zum Schwimmen. Denn die beiden Freundinnen gehen jeden Morgen um 7 Uhr gemeinsam in den Tegernsee. „Am schönsten ist es, wenn es schneit“, sagt Anita Sabino, „dann hat der See eine ganz tolle Stimmung.“

Denn egal, wie das Wetter ist, die beiden hartgesottenen Badefans gehen ins
Wasser. „Das Wasser hat immer die gleiche Temperatur, egal ob die Sonne scheint oder es regnet“, weiß Angela Mielke, „nur draußen ist es dann mit dem kalten Wind etwas unangenehmer.“

Erste im See!

Angefangen hat alles 2018, als Sabino ihrer Mutter zuvorkommen und als Erste im See sein wollte. „Das war im April, ich hatte es einfach satt, dass sie es jedes Jahr schafft, vor mir zu baden“, lacht die sympathische Zahnarzthelferin, „und Angela war nach einigem Zureden auch dabei.“ Und so sind sie dabeigeblieben.

„Hier an unserer Badestelle kennen uns mittlerweile alle, und es macht richtig Spaß, die ungläubigen Gesichter zu sehen, wenn wir im Winter schwimmen gehen“, erzählt Anita Sabino. „Dann kommt immer jemand ans Ufer gelaufen, greift ins Wasser und schüttelt ungläubig den Kopf“, schmunzelt Angela Mielke.

Ausgerüstet sind die beiden mit Bikini und Handtuchponcho oder Bademantel, wenn der See im Februar, März am kältesten ist, dazu Badeschuhe, Neoprenhandschuhe, Wollmütze und Wärmemantel. „Den haben wir uns von den Schwimmern abgeguckt, der ist innen ganz weich und warm“, erzählt Sabino.

Eisbaden und Winterbaden im Tegernsee

Nach dem Baden wärmt ein heißer Tee.

Der Ablauf beim Baden ist immer gleich: Umziehen in der Umkleide und mit dem Handtuch auf den Steg. „Das machen viele falsch“, weiß Angela Mielke, „wenn man sich im kalten Wind umzieht, friert man schon vor dem Schwimmen.“ Dann geht es zügig ins Wasser. „Man darf nicht lange überlegen, sonst überlegt man es sich anders“, weiß Anita Sabino, die ihre Freundin ab und zu motivieren muss. „Mach es einfach, auch wenn es weh tut“, rät sie weiter.

Wir machen es wirklich!

Also traue auch ich mich mit den beiden ins Wasser und schwimme los. In diesem Jahr bin ich über den Sommer hinaus immer wieder in den See gegangen, aber nicht regelmäßig. Und das merkt man, wie Anita Sabino erklärt: „Wenn man jeden Tag geht, ist der Körper gut an die Kälte gewöhnt, aber wenn man eine längere Pause macht, ist es viel schwerer und fühlt sich kälter an.“

Damit ich es trotzdem schaffe, halte ich mich an die Tipps der beiden. „Man darf nicht bewegungslos auf einer Stelle verharren, deshalb schwimmen wir immer eine kleine Runde“, erklärt Angela, „und bleiben dabei so nah am Ufer, dass man noch stehen kann.“ Also schwimmen wir los und am Anfang fühlt es sich gar nicht gut an. Die Hände und vor allem die Füße tun weh und das Wasser ist eiskalt.

Doch schon nach der ersten Bahn und etwa zwei Minuten ändert sich das Gefühl und es kribbelt. „Du musst durchhalten, dann wird es schon besser“, motiviert mich Anita, als wäre das Wasser bei ihr wärmer. Sie sollte recht behalten, denn als wir zurück zum Steg schwimmen, fühlt sich das Wasser nicht mehr so eiskalt an und Hände und Füße schmerzen nicht mehr. So entscheiden wir uns für eine zweite Bahn und schaffen es, um die acht Minuten zu schwimmen.

Das ist auch gut so, denn laut Experten stellen sich die positiven Effekte des Winterbades erst nach fünf Minuten ein. Und die sollen neben einem gestärkten Immunsystem auch ein besseres Kälte-Wärme-Empfinden, der Abbau von braunem Fett und die Ausschüttung von Glückshormonen sein.

„Wir sind tatsächlich viel weniger krank, seit wir das machen, und fühlen uns wohler“, freut sich Anita Sabino. “Es tut uns einfach gut.“ Wir schlüpfen in unsere Handtücher und ziehen uns gleich wieder um. Auch dafür haben die beiden praktische Tipps: „Die Kleidung sollte nachher bequem und leicht anzuziehen sein.“ Das macht Sinn, denn mit steifen Fingern und kalten Gliedmaßen ist es schwierig, in eine Röhrenjeans zu schlüpfen oder Schnürsenkel zu binden.

Es ist einfach kalt

Im Moment spüre ich nicht viel, außer der Kälte, die von meinem Inneren auszugehen scheint. Kein Glücksgefühl, kein Hochgefühl. Mein ganzer Körper zittert leicht und ich sehne mich nach Wärme. „Man darf nicht den Fehler machen und sich danach hinsetzen oder hinlegen“, rät mir Anita, „dann wird einem nicht mehr warm.“ Besser ist es, aktiv zu bleiben und sich zu bewegen.

eisbaden und winterbaden im Tegernsee

Winterbaden liegt im Trend, aber es müssen auch wichtige Dinge vor dem ersten Bad berücksichtigt werden.

„Im Winter dauert es bei uns auch immer länger, bis wir wieder warm sind“, beruhigt mich Anita. Also hüpfe ich beim gemeinsamen Tee, der uns aufwärmen soll, ein wenig auf und ab und freue mich auf das warme Auto. „Ich schalte immer die Sitzheizung ein und wenn ich zu Hause bin, schaue ich, dass ich etwas zu tun habe. Es gibt genug zu tun“, lacht Angela.

Das Wohlgefühl ist da

Gesagt, getan, ich drehe auf dem Heimweg die Lüftung auf volle Leistung und verfalle zu Hause in blinden Aktionismus beim Aufräumen, Wäschewaschen und Staubsaugen. Mir ist immer noch kalt und ich mache mir langsam Sorgen, ob ich nicht zu lange im kalten Wasser war. Doch nach 30 Minuten stellt sich plötzlich das versprochene Wohlgefühl ein.

Ich fühle mich unglaublich wohl in meinem Körper und bin für den Rest des Tages wach, konzentriert und aktiv. Ich bilde mir auch ein, in dieser Nacht besser geschlafen zu haben. So viel Überwindung es gekostet hat, so positiv war der Effekt. Ich verstehe, warum die beiden das so konsequent durchziehen, übrigens nicht nur am Tegernsee.

„Wenn wir gemeinsame Ausflüge machen, planen wir immer einen Zwischenstopp an einem See ein“, erzählen die beiden. „Wir haben eine Liste von A bis Z mit allen Seen, in denen wir einmal schwimmen wollen. Gut die Hälfte haben wir schon geschafft.“ Ein gesundes Hobby, das ich mir jetzt gut vorstellen kann.

Das sagt die Ärztin

Dr. Julia Oswald ist Ärztin und erklärt, was vom Trend Eisbaden zu halten ist.
Für Mediziner ist Eisbaden ein spannendes Thema. Es scheint den Organismus auf vielfältige Weise positiv zu beeinflussen. Doch bevor man sich ins kalte Wasser wagt, sollte man ein paar Dinge wissen und beachten, sonst kann es auch schaden und im schlimmsten Fall lebensgefährlich werden.

Was ist so gut am Eisbaden?
Es hat unter anderem positive Auswirkungen auf das Immunsystem. Studien haben gezeigt, dass Eisschwimmer im Vergleich zu Nicht-Eisschwimmern seltener wegen akuter Atemwegserkrankungen zum Arzt müssen. Auch wenn die Wissenschaft im Bereich der körperlichen Reaktionen noch nicht alles im Detail verstanden hat, so gibt es doch Auswirkungen auf das Hormonsystem, die Ausschüttung von Endorphinen ist gut für die Psyche und das Herz-Kreislauf-System wird angeregt.

Was passiert im Körper im kalten Wasser?
Starke Kälte ist ein Schmerzreiz. Sie fühlt sich an wie „Nadelstiche auf der Haut“. Nach einer Gewöhnungsphase wirkt Kälte kurzfristig schmerzlindernd, indem sie die Nervenleitgeschwindigkeit für Schmerzreize verlangsamt. Darüber hinaus wirkt Kälte entzündungshemmend. Ein Beispiel aus der Medizin ist der Einsatz der Kältetherapie zur Linderung von Beschwerden bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Durch die Kühlung werden außerdem Schwellungen reduziert und Muskelverspannungen abgebaut. Zusätzlich wird das vegetative Nervensystem angeregt: Frieren ist eine Form von Stress, der Sympathikus wird stimuliert, Herzfrequenz, Blutdruck und Atemfrequenz steigen. Auch das Gefäßsystem muss „arbeiten“. Durch Gefäßverengung in Armen und Beinen wird Blut ins Körperinnere gepumpt.

Wer sollte darauf verzichten?
Auf jeden Fall Patienten mit Angina pectoris oder schweren Herzerkrankungen. Ebenso bei Durchblutungsstörungen oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit. Auch Menschen mit Kälteüberempfindlichkeit, Raynaud-Syndrom oder selteneren Erkrankungen wie Kryoglobulinämie oder Kälteurtikaria rate ich ab. Und bitte kein Eisbaden bei offenen Wunden, akuten Infektionen, Erkältungssymptomen und Fieber. Grundsätzlich ist es sinnvoll, vor Beginn solcher körperlichen Extrembelastungen einen Arzt aufzusuchen und sich individuell beraten zu lassen. Es sollte eine kardiologische Untersuchung mit EKG und ggf. Herzultraschall erfolgen.

Gibt es den berüchtigten Herzinfarkt beim Sprung ins kalte Wasser?
Eisbaden kann tatsächlich lebensgefährlich sein. Durch plötzliches Eintauchen des Kopfes können Reflexmechanismen ausgelöst werden, die zum so genannten Badetod führen können. Beim „Tauchreflex“ wird der Parasympathikus stimuliert, die Atmung kann unwillkürlich zum Stillstand kommen. Eine Verstärkung dieser Reflexe durch Alkohol ist möglich. Die extreme Kälte lässt auch Puls und Blutdruck in die Höhe schnellen, ein vorgeschädigtes Herz kann dann überlastet werden. Badet man zu lange in einem eiskalten See, können durch das zu starke Absinken der Körperkerntemperatur Bewusstseinsstörungen und Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzstillstand auftreten.

Ärzte erforschen die Wirkung des Winterbadens

Ärzte erforschen die Wirkung des Winterbadens.